Zur Theorie der Unbildung
gedruckt am 03. Oct. 2024
Zusammenfassung eines Vortrags von Konrad Paul Lissmann, Kulturpublizist und Philosophieprofessor (Uni Wien).
In drei Schritten erklärt Lissmann die problematische Entwicklung des Bildungsbegriffes: Am Beginn der klassischen Bildungsidee steht Wilhelm von Humboldt mit seinem Buch Theorie der Bildung. Wilhelm von Humboldt (1767 -1835) verhilft der Bildung als Grundbegriff der deutschsprachigen Pädagogik zum entscheidenden Durchbruch: Unabhängig von seiner Herkunft hat jede Person Begabungen, die sie entfalten können soll. Da wir Gemeinschaftswesen sind, sind wir auf Kommunikation angewiesen und müssen sprachliche, kulturelle und Verstehens-Kompetenzen erwerben. Weiters ist der Mensch ein tätiges Wesen, das etwas machen, hervorbringen will – das bedingt technische und ökonomische Kompetenzen. Zweck der Bildung ist laut Humboldt die Persönlichkeits- und Charakterbildung. Bildung soll dazu dienen, sich ein Bild machen zu können, ein Bild von sich selbst, wer wir sind und ein Bild von der Welt, in der wir leben. Wer wir wirklich sind erfahren wir in Reflexion über unser Leben, über das was wir tun und was wir aus unseren Vorgaben machen.
1959 reflektiert der deutsche Philosoph Wolfgang Theodor Adorno in seiner Schrift Theorie der Halbbildung das moderne Bildungssystem. Er betont die Notwendigkeit von Muße für den Bildungsprozess anstelle der Unterordnung der Bildung unter ökonomische Ziele, Erwartungs- und Zeitdruck: Schule war eigentlich in ihrer ursprünglichen Bedeutung ein Ort der Muße (!), der Ort, an dem man sich nach der Arbeit ausgeruht hat, an dem man Zeit hatte für Erkenntnis und Gestaltung. Adorno betont, dass die wesentlichen Erkenntnisse und die Erfolge unserer Zivilisation auf diese Muße zurück geht und nicht auf die Arbeit unter Zeitdruck und Erfolgszwang. Die großartigen Erfindungen und Entdeckungen konnten gemacht werden, weil sich Menschen ihr ganzes Leben mit bestimmten Fragen beschäftigen konnten, von denen man vorher gar nicht gewusst hat, dass sie einmal eine Bedeutung haben werden (Albert Einstein!). Adorno nennt uns daher halbgebildet, weil wir diese Muße nicht mehr haben und daher nicht mehr wirklich gebildet sein können.
Konrad Paul Lissmann nennt sein aktuelles Buch nun mit einem gewissen Sarkasmus Theorie der Unbildung: Obwohl wir mehr wissen, bleiben wir dennoch ungebildet, weil das Wissen nicht Bildung als Ziel hat, sondern dem Wettbewerb und der kurzfristig denkenden Ökonomie unterworfen ist: wichtig ist, was gesellschaftlich und ökonomisch als Wissen wichtig erscheint. Was unmittelbar nützt, kann sich allerdings sehr rasch ändern. Lissmann zitiert dazu ein bekanntes Beispiel: Während noch im Jahr 2000 vom damaligen Finanzminister der Bereich Orientalistik an der UNI Wien als entbehrlich bezeichnet wurde, wurde nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 rasch klar, dass es zuwenig ausgebildete Orientalisten gibt, dass das, was an der Orientalistik passiert, heute verdammt wichtig ist: die Auseinandersetzung mit einer anderen Sprache, Kultur und Religion, wie diese Menschen denken, was sie als wichtig erachten und (historisch) erachtet haben. Und weil das zu unserer eigenen Selbsterkenntnis (im Sinne Humboldts) beitragen kann.
In der anschließenden Diskussion ging es auch um die heutigen Möglichkeiten von Unterricht und Schule – im Publikum befanden sich hauptsächlich Lehrerinnen und Lehrer: In der Schule sollen Schüler/innen kompromisslos sprechen und denken lernen, da sind die Schüler/innen aus dem Zwang des Alltags eigentlich herausgenommen. Kritisch äußert sich Lissmann auch zu den Schulrankings und den derzeitigen Qualitätsaktivitäten: hier werden vielmals falsche Prioritäten gesetzt, wertvolle Energie wird falsch eingesetzt. Nachzulesen im lebenswerten Buch von Konrad Paul Lissmann.
Faszinierend auch die Sprachbeherrschung des Vortragenden, sein lebendiger Vortrag und sein humorvoller Umgang mit einem komplexen Thema. Alles in allem ein erfrischender und ermutigender Abend zum Thema Bildung und Bildungsqualität!