Die Ästhetik algorithmischer Modelle
gedruckt am 03. Oct. 2024
Zur Einordnung meiner künstlerischen und experimentellen Arbeit mit MaxMSP/Jitter habe ich interessante Analysen des Einflusses der Computation auf die Kunst gefunden.
Medienkomposition als Modellbildung
Während in der klassischen Fotografie das Motiv, eine Serie von Bildern oder das Erzeugen abstrakter Bilder im Zentrum der Arbeit steht, verwende ich in meiner Medienkomposition Fotografie und Video (auch Klang) als Material, wobei für die richtige Eignung des Materials eher Kontrast, Tempo, grafische Struktur eine Rolle spielen als das eigentliche fotografische Motiv. Auch mein Videomaterial erzählt keine Geschichten, sondern bringt vorwiegend Bewegung und Veränderung von Kontrasten ins Spiel.
Foto- bzw. Videomaterial wird verschiedenen computergesteuerten Prozessen unterworfen. Die mit Hilfe einer grafischen Oberfläche geschaffenen Programme können als Modelle mit Einflussfaktoren im Sinne der systemdynamischen Modellbildung interpretiert werden. Meine Modelle entwickle ich ausgehend von einfachen Modellen durch Differenzierung von Parametern und Setzen von komplexen Zusammenhängen: Rückkoppelungen zwischen Parametern, Zufallsprozesse und automatische Steuerungen veranlassen meine Modelle zur Gestalt-Bildung – durch die (Echtzeit-)Verarbeitung digitaler Daten (Foto, Video, Grafik, Text, Sprache und/oder Klang) erzeugen diese theoretischen Modelle neue Informationen, die eigenständige ästhetische Qualität haben. Die Modelle visualisieren bzw. verklanglichen – also versinnlichen – die Strukturen des verwendeten Materials und der programmierten Algorithmen.
Die Modelle kann ich als Computerprogramme interessierten Rezipienten zur eigenen Arbeit mit eigenen Materialien zur Verfügung stellen um so an meinem kreativen Prozess teilzuhaben bzw. diesen Prozess weiterzuführen. Ziel ist nicht ein statisches künstlerisches Produkt, sondern der Gestaltungsprozess durch Beeinflussung von Parametern auf abstrakter Ebene. Ziel ist die Versinnlichung von Algorithmen bzw. die ästhetische Interpretation von Algorithmen.
Die Möglichkeit zum Abspeichern von punktuellen visuellen Ereignissen (Bild), von Videoclips oder Klangaufnahmen schafft die Verbindung zur gewohnten Bildkunst. Durch Automatisierung des Speicherns von zeitlich begrenzten Abschnitten läßt sich individualisierte Massenproduktion von (statischen) Kunstwerken als Ausschnitt offener und dynamischer Prozesse erzeugen.
Aspekte der Medientheorie von Vilém Flusser, die meine Arbeit berühren
Vilém Flusser schreibt in mehreren medienphilosophischen Aufsätzen über die Auswirkungen der Computation auf Denken, Medien und Kunst.
In Hinweg vom Papier (1987) definiert er Kreativität als Erzeugen vorher nicht dagewesener Information durch Umstrukturierung vorhandener Information.
Es wird zumindest denkbar, dass wir in Zukunft nicht mehr empirisch, sondern auf Grund einer Theorie werden schaffen können. Dass nicht mehr handwerklich, sondern technisch kreiert wird. In diesem Fall wäre mit einer Explosion der menschlichen Kreativität zu rechnen. (Vilém Flusser, Hinweg vom Papier, in: Medienkultur, S. Fischer Vlg, S 62)
In Alphanumerische Gesellschaft (1989) setzt Vilém Flusser in Abgrenzung zum magisch-mythischen und dem historischen Bewußtsein das kalkulatorisch statistische Denken/Bewußtsein. Anstelle des Rechnens tritt das Programmieren, das Manipulieren von Strukturen, das Analysieren und Synthetisieren, das Entwickeln von Modellen:
Der Computer rechnet nicht nur, er synthetisiert die Bits auch zu Gestalten, zum Beispiel zu Linien, zu Flächen, aber auch zu Tönen. Diese Gestalten können miteinander kombiniert werden, … ganze alternative Welten sind aus Zahlen komputierbar geworden. Diese erlebbaren (ästhetischen) Welten verdanken ihre Erzeugung dem formalen, mathematischen Denken. Das hat zur Folge, dass nicht nur wissenschaftliche Theoretiker und deren Theorien anwendende Techniker, sondern alle Intellektuellen überhaupt (und vor allem Künstler) die Codes der neuen Bewußtseinsebene zu erlernen haben, wenn sie am künftigen Kulturbetrieb teilnehmen wollen. Wer die neuen Codes nicht lesen kann, ist Analphabet in einem mindestens so radikalen Sinn, wie es die der Schrift Unkundigen in der Vergangenheit waren. (Vilém Flusser, Alphanumerische Gesellschaft, in: Medienkultur, S. Fischer Vlg, S 52)